Interview (deutsch)

Interview mit Victoria Ferreira, DMagazin*, Buenos Aires, Argentinien 

Victoria Ferreira:
Wie sieht Dein kreativer Prozess aus?

Stefan à Wengen:
Ich versuche einem speziellen Thema zu folgen, aber die Frage ist nicht einfach zu beantworten. In der Regel finde ich Bilder in Magazinen oder im Internet oder ich fotografiere viele Bilder selbst. Davon mache ich meistens kleine Zeichnungen. Erscheint mir ein Motiv interessant, mache ich meist eine größere Zeichnung um während dieses Prozesses auch die Farbigkeit herauszulesen. Diese Papierarbeiten sind dann eher wie Pläne für Gemälde zu verstehen. Es gibt auch große Zeichnungen, die als Pläne für Gemälde fungieren, aber bis zu einem Jahr Überlegung brauchen um schließlich auf Leinwand umgesetzt zu werden. Es entstehen auch Zeichnungen, die nicht in Malerei umgesetzt werden müssen.

Victoria Ferreira:
Wie und warum wählst Du Motive aus für Deine Porträt- oder Landschaftsbilder?

Stefan à Wengen:
Ich weiß es absolut nicht! Sie kommen einfach zu mir! Aber Scherz beiseite: Ich lese viel, reise gerne – es ist ein laufender Prozess. Schlussendlich weiß ich jedoch nicht genau wie ich zu meinen Motiven komme. Aber grundsätzlich arbeite ich diesbezüglich so, wie ich es in Deiner ersten Frage zu beantworten versuchte.

Victoria Ferreira:
Mit welchem Material und welchen Farben arbeitest Du und warum?

Stefan à Wengen:
Ich mag Malerei weil sie individuell und handgemacht ist. Ich liebe Ölgemälde aber für mein Werk misstraue ich dieser klassischen Technik eher, daher male ich mit Acrylfarben. Sie erlauben mir schneller zu arbeiten und sie brauchen nicht Tage, gar Wochen, bis sie durchgetrockenet sind. Schnelles Arbeiten bedeutet allerdings auch hohe Konzentration, denn was ich gemalt habe kann, im Gegensatz zur Ölmalerei, nicht wieder korrigiert werden.

Victoria Ferreira:
Wie hast Du Deine spezielle Technik mit nur einer oder zwei Farbtöne zu malen, die schließlich zu Deinen eher dunklen Bildern führen, entwickelt? Manche erscheinen wie Filmnegative.

Stefan à Wengen:
Das hat mit dem Nachdenken darüber zu tun, wie man Erinnerung darstellt. In gewisser Weise versuche ich, wie in einem Spielfilm, meine Bilder in eine andere Vergangenheit oder eine fiktive Realität zu zoomen. Wir alle kennen diese Verfremdungen aus Filmen, wenn die natürliche Farbe plötzlich verschwindet oder anders moduliert wird oder aus unseren eigenen Träumen in der Nacht. In Filmen bedeutet dieses Verfremden immer einen Schnitt, es könnten Traumsequenzen oder Fragmente der Erinnerung sein, die in den Tiefen des Unbewussten schlummern und manchmal plötzlich und erschreckend an die Oberfläche des Bewusstseins treiben.

Victoria Ferreira:
Woher kommt dein Interesse an der Nacht, der Dunkelheit und der Verwüstung?

Stefan à Wengen:
Das ist keine leichte Frage! Ich werde versuchen zu antworten;
Ich versuche oft mit Dingen zu arbeiten, die ich nicht verstehe, wie Tod, Sexualität und Zeit. Seit meiner Kindheit bin ich fasziniert von Dingen, die ich versuchte zu verstehen, die mir aber niemand erklären konnte. Woher kommt das Gefühl der Melancholie, warum habe ich deprimierende Tage, warum ist das Fremde, nun ja, so fremd? Warum ist die Nacht manchmal erschreckend und zugleich auch schön und beschützend?

Es gibt immer Licht in der Dunkelheit, es gibt immer das Gute im Bösen – oder wie Lautréamont einmal sagte: „Wie Baudelaire, wie Flaubert, glaubt auch er, dass der ästhetische Ausdruck des Bösen die wichtigste Aufwertung des Guten, die höchste Moral impliziert.“

Oder um es anders auszudrücken: Ich hatte immer das Gefühl, dass mir die Idylle unheimlich vorkommt, die Idylle einer schicken (und privilegierten) Vorstadt z. B. impliziert in mir immer, dass eine große Menge an Gewalt dieses Bild der Idylle aufrecht zu erhalten nötig ist, um so die Atmosphäre als einen Ort zu bewahren, an dem sozusagen immer Ferien sind. Diese Dinge irritieren mich und faszinieren mich gleichzeitig. 

Es gibt kein Schwarz oder Weiß, es gibt immer Grautöne, aber es kann eben auch ein Schwarz/Weiß geben …Du weißt, was ich meine…? Und hat nicht jeder eine dunkle Seite? Genießen wir nicht manchmal auch den Grusel? – der zuweilen nebenbei auch unser Herz-Kreislauf-System in Schwung bringt.

Victoria Ferreira:
Wie und warum fügst Du das Freudsche Konzept des Unheimlichen in Deine Arbeit ein?

Stefan à Wengen:
Ich musste. Da sich meine Arbeit in diese Richtung bewegte und sich mit immer mehr mit Psychologie beschäftigte, musste ich mich mit Freud befassen. Das Unbewusste kann Dir viel über das erzählen was tief in unseren Seelen eingebettet ist. Es ist wie ein riesiges Reservoir mit all unseren verborgenen Erinnerungen, Erfahrungen und Wünschen. Was kann interessanter sein als dies?

Victoria Ferreira:
Was sind Deine Einflüsse und Quellen Deiner Inspiration?

Stefan à Wengen:
Ich kann Dir vielleicht einige Namen von Personen aufzählen, die mich inspirierten oder immer noch inspirieren: Hans Lebert, Judith Butler, Francis Bacon, Louis Bourgeois, Francisco Goya, David Bowie, Ferdinand Hodler, Emma Kunz, Michel Foucault, Julia Kristeva, Bruce Wayne, Arnold Böcklin, Max Frisch, Hilma af Klimt, Edgar Allan Poe, Caspar David Friedrich, Edvard Munch, Odo Marquart, Antoine Chintreul, Johann Heinrich Füssli, Georges Bataille, Bruno Manser, Jean Baptiste Chardin, Guiseppe Cannella, Siri Hustvedt, Robert Pogue Harrison, Simon Shama, Umberto Eco und viele, viele andere.

Victoria Ferreira:
Was möchtest Du mit Deinem Werk auslösen oder vermitteln?

Stefan à Wengen:
Uff! Da gibt es keine Strategie, um etwas Besonderes zu provozieren. Aber ich denke, für mich, dem Bedrückenden, dem Beunruhigenden, dem Fremden Ausdruck zu verleihen, entspricht einem tiefen und menschlichen Bedürfnis.

Victoria Ferreira:
Warum bist Du aus der Schweiz nach Deutschland gezogen?

Stefan à Wengen:
Liebe! Und es ist immer noch dieselbe seit mehr als zwanzig Jahren.

Victoria Ferreira:
Was kannst Du uns über die Kunstszene in Düsseldorf erzählen?

Stefan à Wengen:
Die Düsseldorfer Kunstszene ist viel kleiner als jene in Berlin, der Stadt, die mit Künstlern überfüllt ist. Es scheint mir, dass im Moment fast jeder Künstler nach Berlin zieht. Manchmal frage ich mich, ob es irgendwelche Künstler gibt, die hier bleiben wollen, wie ich. Düsseldorf ist klein und gemütlich, aber ich mag es, weil Paris, Brüssel, Amsterdam in der Nähe und der Flughafen gleich um die Ecke ist.

Victoria Ferreira:
Welche Musik hörst Du während dem Arbeiten?

Stefan à Wengen:
Während ich meine Leinwände aufspanne, höre ich meist härtere Musik wie „My Chemical Romance“, „Trentemøller“ oder mehr monotonere wie „Fad Gadget“ zum Beispiel. Während ich male oder zeichne – es hängt von meiner Stimmung ab – höre ich gern den extrem verlangsamten Jazz von „Bohren und der Club of Gore“ oder mehr sentimentale, melancholische Musik wie „Brendan Perry“ (auf eine Art traurige Musik mit einer Stimme, der Frank Sinatra irgendwie ähnlich ist), oder solche wie „Dredg“ oder „Unkle“, „Kip Hanrahan“ oder „Moondog“. Manchmal höre, während ich male ganz gerne die Symphonien von „Philip Glass“, oder die von „Frank Zappa“ – kennst Du seine klassischen Kompositionen? Sie sind einfach wunderbar! – oder ich höre wunderbare Sängerinnen wie „Merdith Monk“. Ich genieße zuweilen auch lustige oder ironische Musik manchmal wie „The Residents“.

Oh, es gibt auch wunderbare experimentelle Musik, die ich für die Arbeit gefunden habe: Ein Musiker aus Düsseldorf mit dem Namen „Hauschka“… Ach ja, und manchmal höre ich auch Gamelan-Musik aus Bali, bis sie mich total verrückt macht…

Victoria Ferreira:
Was machst Du gerne, wenn Du keine Kunst machst?

Stefan à Wengen:
Zum Beispiel reise ich gerne in tropische Dschungel. Oder ich schreibe, schreibe um, lese oder schaue die ganze Nacht Fernsehen. Ich liebe es zu kochen, sammle Kitchen-Buddhas und versuche dann und wann auch einmal faul zu sein, was manchmal auch ganz schön viel Arbeit ist.

* 2010 veröffentlicht in spanischer Übersetzung im Magazin Dmag Nr. 8; Buenos Aires, Argentinien